Gopi Shankar Madurai and Katrina Karkazis at Madrid Summit, University of Madrid |
Während meines Gesprächs mit Dr. Katrina Karkazis von der medizinischen Fakultät der Standford Universität (Kalifornien), weitläufig bekannt für ihr Buch „Fixing Sex: Intersex, Medical Authority and Lived Experience“, kamen wir auf den aktuellen Roman „The Ministry of Utmost Happiness“ der vielgepriesenen Autorin Arundhati Roy zu sprechen. Ebenso wie ich vertritt Dr. Karkazis die Meinung, dass eine der Hauptfiguren des Romans – Anjum – eine völlig falsche Darstellung der Intersex Gemeinschaft verkörpert.
Die renommierte Intersex Aktivistin Hida Viloria, Präsidentin der OII USA, kommentiert: „In einem Interview fiel mir auf, dass sie (Arundhati Roy) den Begriff „Hermaphrodit“ verwendete, um eine Figur zu charakterisieren, im Verlauf jedoch die Bezeichnung „Transgender“ wählte. Es ist unverantwortlich von ihr, keine hinreichenden Nachforschungen hinsichtlich der Charaktere, über die sie schreibt, anzustellen, um sich ein Bild davon zu machen, wer sie eigentlich sind.“
Im Roman wird Anjum eingangs als Intersex-Person beschrieben, im Verlauf
wird die Figur jedoch als Hijra bezeichnet.
Ich selbst bin LGBTQIA+ Aktivist und stehe der Hijra Gemeinschaft in keiner Weise ablehnend gegenüber. Dennoch ist
es nicht korrekt, falsch dargestellt zu werden, und eine Identität
zugeschrieben zu bekommen, mit der man sich selbst nicht identifiziert.
Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Frau und identifizieren sich auch als
solche. Würde es Sie nicht ärgern, von anderen Menschen als Mann angesehen zu
werden?
In der Sangam Literatur bezeichnet der Begriff „Pedi“ Menschen mit Intersex-Merkmalen, schließt jedoch auch Antharlinga Hijras sowie verschiedene
andere Hijras mit ein. Der Aravan Kult in Koovagam, Tamil Nadu ist
eine Volkstradition der Transfrauen, bei der die Mitglieder die Legende[1]
während eines dreitägigen Festivals nachstellen. Dieser Kult unterscheidet sich
völlig vom Sakibeki Kult
Westbengalens, bei welchem sich die Transfrauen weder einer geschlechtsangleichender
Operation unterziehen, noch das Gesicht rasieren. Sie kleiden sich weiblich,
behalten jedoch ihrer (biologischen) männlichen Attribute, während sie Lieder zu
Ehren Krishnas singen. In der konservativen, heteronormativen Gesellschaft
Tamil Nadus hingegen, gleichen sich Transfrauen vollständig an, um dem
„cis-normativen“ Ideal einer Frau zu entsprechen.
In der Vergangenheit wurden diese sogenannten „Gender-Minoritäten“ auf
eine ganz eigene Weise sogar in religiöse Traditionen integriert. Weitere
Beispiele solcher Gemeinschaften sind die Nupi
Manbis im Nordosten Indiens, die Bachura
Devi, die in Gujarat verehrt werden,
sowie der Jogappa Kult in Karnataka.
Es existieren sogar unterschiedliche Sprachen und Dialekte innerhalb dieser
Gemeinschaften, welche von Region zu Region variieren. Als „Hijra Farsi“ – eine Mischung aus Urdu,
Hindi und Persisch – wird der Transgender Dialekt bezeichnet, der in
Nordindien, Pakistan und Afghanistan gesprochen wird, während die Transgender
Gemeinschaft in Karnataka, Andhra, Orissa sowie Teilen Tamil Nadus „Kothi Baashai“ spricht.
Des Weiteren bedienen sie sich einer Zeichensprache sowie spezifischer
Verhaltensweisen zur Kommunikation – eine davon ist die unverwechselbare Art
des (in die Hände) Klatschens. Diese Gemeinschaften waren sich von jeher der
Existenz von Intersex-Personen bewusst, bezeichneten sie als Madebi Usili und betrachteten sie als
eigenständige Gruppe mit eigener Identität.
Studierende aus aller Welt kommen zu Shrishti Madurai, um mehr über die
Vielfalt dieser Gender-Minoritäten zu lernen. Wenn jedoch eine vielgelobte
Schriftstellerin, welche weltweit über eine große Leserschaft verfügt, diese
Gemeinschaften falsch portraitiert, wirft uns das um 10 Jahre zurück. Alle unsere
Bemühungen, ein Bewusstsein für unsere Existenz zu schaffen, und deutlich zu
machen, dass wir uns von der Hijra
oder Transgender Gemeinschaft unterscheiden, waren dann vergebens. Und das nur,
weil eine Autorin es nicht für nötig hält, hinreichende Nachforschungen
bezüglich der Thematik ihres Buches zu betreiben.
Arundhati Roy kann diese unterschiedlichen Gemeinschaften nicht in einen
Topf werfen und sie homogenisieren.
Intersexuelle Menschen wurden in indigenen Gemeinschaften als Madebi Usili, Antharlinga Hijra oder Idailinga
bezeichnet. Arundhati Roy stellt meine Gemeinschaft und deren
Geschlechtsidentität schlicht und einfach falsch dar. Sie sollte sich
angemessen über das Thema Geschlecht, Gender und sexuelle Orientierung
innerhalb indigener Gemeinschaften von Gender-Minoritäten informieren. Denn diese
sind auf dem Subkontinent von großer Diversität geprägt.
Intersexuelle Menschen können nicht mit Transmenschen gleichgesetzt werden.
Diese Unterschiede klar zu benennen und zu definieren ist Roy nicht gelungen.
Es ist zwar ihr gutes Recht, eine fiktive Geschichte zu entwerfen,
dennoch sollte sie, wenn sie über eine bestimmte Gemeinschaft schreibt,
Nachforschungen anstellen und zumindest die Fakten berücksichtigen.
Wir haben so mühevoll für mehr Sichtbarkeit sowie für mehr Bewusstsein
für unsere Existenz und Identität als Intersex-Personen gekämpft. Wenn uns jedoch
progressive Autor*innen, wie beispielsweise Arundhati Roy, fehlerhaft darstellen,
wird vielen Menschen ein falsches Bild unserer Gemeinschaft vermittelt.
Um unseren Leser*innen ein besseres Verständnis für die Begrifflichkeiten
zu ermöglichen, werde ich kurz die grundlegenden Unterschiede zwischen Hijras und Intersexuellen erläutern.
Intersexualität ist eine biologische Geschlechtsidentität, während
Transgender eine soziale Geschlechtsidentität ist. Hijras fallen auch unter den Begriff Transgender, jedoch nicht alle
Transmenschen sind Hijras. Intersex-Personen
werden mit nicht eindeutigen reproduktiven Organen und/ oder verschiedenen
Variationen hinsichtlich ihrer Geschlechtsmerkmale, wie Chromosomen, Keimdrüsen
und Sexualhormonen geboren.
Die Hijra Gemeinschaft
repräsentiert eine der ältesten Geschlechtsidentitäten Indiens und verfügt über
eigene Sprachen, Traditionen, Rituale sowie Verhaltensregeln. Einige Intersex-Personen
identifizieren sich als Transgender, was jedoch nicht repräsentativ für unsere
ganze Gemeinschaft ist.
Der Begriff „Hermaphrodit“ ist abfällig und wir lehnen diesen Terminus
für uns ab. Weshalb werden unsere Leute homogenisiert?
Als Änderung, bzw. Entschädigung wünschen sich Intersex Gemeinschaft
sowie Intersex Aktivist*innen von der Autorin, sie möge doch wenigstens eine
ergänzende Seite hinzufügen, auf der sie die Unterschiede zwischen biologischem
Geschlecht und Geschlechtsidentität, sowie die Unterschiede zwischen
Intersexuellen und der Hijra
Gemeinschaft klarstellt.
Toni Briffa, der weltweit erste intersexuelle Politiker, frühere
Bürgermeister von Hobson`s Bay City und Mitglied des OII Australien stellt fest:
„Eine Verquickung der Begriffe „Intersex“ und „Trans“ zeigt, dass diese
Menschen nicht wissen, was Intersexualität ist. Intersexualität bezieht sich auf
die Biologie. Intersexualität bedeutet, dass man mit Geschlechtsmerkmalen geboren
wird, welche sich außerhalb der medizinischen Norm für männlich und weiblich
befinden. Es geht dabei nicht um Menschen, die mit einem bestimmten
biologischen Geschlecht geboren wurden, welches nicht mit ihrer
Geschlechtsidentität übereinstimmt.
Die falsche Darstellung durch eine Person, die sich als Expertin
bezeichnet, ist bedenklich. Noch bedenklicher ist ihre Weigerung, die falsche Darstellung
zu korrigieren, nachdem sie aus zuverlässigen Quellen darüber informiert wurde,
dass ihre Beschreibungen falsch, beleidigend und schädlich für unsere
Gemeinschaft sind.
[1] Aravan, Sohn des Arjuna und seiner Frau Ulupi, ist ein bedeutsamer Krieger des Epos Mahabharata. Als Zeichen der Tapferkeit plant er, sich selbst zugunsten der großen Schlacht in einem Opferritual zu töten. Um die Bestattungsrituale eines verheirateten Mannes zu erhalten, sucht er eine Frau, die bereit ist, ihn vor seiner Selbstopferung zu heiraten. Dies gestaltet sich jedoch schwierig, da sich alle vor dem frühen Witwendasein fürchten. Da schreitet Krishna ein indem er seine weibliche Form, Mohini, annimmt, Aravan heiratet und die Hochzeitsnacht mit ihm verbringt. Danach nimmt Krishna wieder seine männliche Form an. In der Volkstradition von Koovagam wird vom Klagen Mohinis nach der Selbstopferung Aravans berichtet. Die Aravanis (Transfrauen) stellen während des Festivals die Hochzeit sowie das anschließende Klagen über den Verlust Arvavans nach.