Arundhati Roys aktueller Roman könnte jahrzehntelange Arbeit von Intersex Aktivist*innen zunichtemachen. - Gopi Shankar Madurai

Gopi Shankar Madurai and Katrina Karkazis at Madrid Summit, University of Madrid
Gopi Shankar Madurai and Katrina Karkazis at Madrid Summit, University of Madrid

Während meines Gesprächs mit Dr. Katrina Karkazis von der medizinischen Fakultät der Standford Universität (Kalifornien), weitläufig bekannt für ihr Buch „Fixing Sex: Intersex, Medical Authority and Lived Experience“, kamen wir auf den aktuellen Roman „The Ministry of Utmost Happiness“ der vielgepriesenen Autorin Arundhati Roy zu sprechen. Ebenso wie ich vertritt Dr. Karkazis die Meinung, dass eine der Hauptfiguren des Romans – Anjum – eine völlig falsche Darstellung der Intersex Gemeinschaft verkörpert. 

Die renommierte Intersex Aktivistin Hida Viloria, Präsidentin der OII USA, kommentiert: „In einem Interview fiel mir auf, dass sie (Arundhati Roy) den Begriff „Hermaphrodit“ verwendete, um eine Figur zu charakterisieren, im Verlauf jedoch die Bezeichnung „Transgender“ wählte. Es ist unverantwortlich von ihr, keine hinreichenden Nachforschungen hinsichtlich der Charaktere, über die sie schreibt, anzustellen, um sich ein Bild davon zu machen, wer sie eigentlich sind.“

Im Roman wird Anjum eingangs als Intersex-Person beschrieben, im Verlauf wird die Figur jedoch als Hijra bezeichnet. Ich selbst bin LGBTQIA+ Aktivist und stehe der Hijra Gemeinschaft in keiner Weise ablehnend gegenüber. Dennoch ist es nicht korrekt, falsch dargestellt zu werden, und eine Identität zugeschrieben zu bekommen, mit der man sich selbst nicht identifiziert.

Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Frau und identifizieren sich auch als solche. Würde es Sie nicht ärgern, von anderen Menschen als Mann angesehen zu werden?

 Das biologische Geschlecht, „weiblich“, männlich“ oder „intersexuell“, bezieht sich auf die, bei der Geburt vorhandenen, Geschlechtsmerkmale. Gender hingegen beschreibt das soziale Geschlecht. Es existieren unzählige Geschlechtsidentitäten sowie sexuelle Orientierungen. Die sexuelle Orientierung wiederum beschreibt, zu welchem Geschlecht wir uns hingezogen fühlen. In Indien sind sich nur wenige Menschen dieser Unterschiede bewusst.

In der Sangam Literatur bezeichnet der Begriff „Pedi“ Menschen mit Intersex-Merkmalen, schließt jedoch auch Antharlinga Hijras sowie verschiedene andere Hijras mit ein. Der Aravan Kult in Koovagam, Tamil Nadu ist eine Volkstradition der Transfrauen, bei der die Mitglieder die Legende[1] während eines dreitägigen Festivals nachstellen. Dieser Kult unterscheidet sich völlig vom Sakibeki Kult Westbengalens, bei welchem sich die Transfrauen weder einer geschlechtsangleichender Operation unterziehen, noch das Gesicht rasieren. Sie kleiden sich weiblich, behalten jedoch ihrer (biologischen) männlichen Attribute, während sie Lieder zu Ehren Krishnas singen. In der konservativen, heteronormativen Gesellschaft Tamil Nadus hingegen, gleichen sich Transfrauen vollständig an, um dem „cis-normativen“ Ideal einer Frau zu entsprechen.

In der Vergangenheit wurden diese sogenannten „Gender-Minoritäten“ auf eine ganz eigene Weise sogar in religiöse Traditionen integriert. Weitere Beispiele solcher Gemeinschaften sind die Nupi Manbis im Nordosten Indiens, die Bachura Devi, die in Gujarat verehrt werden, sowie der Jogappa Kult in Karnataka. Es existieren sogar unterschiedliche Sprachen und Dialekte innerhalb dieser Gemeinschaften, welche von Region zu Region variieren. Als „Hijra Farsi“ – eine Mischung aus Urdu, Hindi und Persisch – wird der Transgender Dialekt bezeichnet, der in Nordindien, Pakistan und Afghanistan gesprochen wird, während die Transgender Gemeinschaft in Karnataka, Andhra, Orissa sowie Teilen Tamil Nadus „Kothi Baashai“ spricht.

Des Weiteren bedienen sie sich einer Zeichensprache sowie spezifischer Verhaltensweisen zur Kommunikation – eine davon ist die unverwechselbare Art des (in die Hände) Klatschens. Diese Gemeinschaften waren sich von jeher der Existenz von Intersex-Personen bewusst, bezeichneten sie als Madebi Usili und betrachteten sie als eigenständige Gruppe mit eigener Identität.

Studierende aus aller Welt kommen zu Shrishti Madurai, um mehr über die Vielfalt dieser Gender-Minoritäten zu lernen. Wenn jedoch eine vielgelobte Schriftstellerin, welche weltweit über eine große Leserschaft verfügt, diese Gemeinschaften falsch portraitiert, wirft uns das um 10 Jahre zurück. Alle unsere Bemühungen, ein Bewusstsein für unsere Existenz zu schaffen, und deutlich zu machen, dass wir uns von der Hijra oder Transgender Gemeinschaft unterscheiden, waren dann vergebens. Und das nur, weil eine Autorin es nicht für nötig hält, hinreichende Nachforschungen bezüglich der Thematik ihres Buches zu betreiben.

Arundhati Roy kann diese unterschiedlichen Gemeinschaften nicht in einen Topf werfen und sie homogenisieren.

Intersexuelle Menschen wurden in indigenen Gemeinschaften als Madebi Usili, Antharlinga Hijra oder Idailinga bezeichnet. Arundhati Roy stellt meine Gemeinschaft und deren Geschlechtsidentität schlicht und einfach falsch dar. Sie sollte sich angemessen über das Thema Geschlecht, Gender und sexuelle Orientierung innerhalb indigener Gemeinschaften von Gender-Minoritäten informieren. Denn diese sind auf dem Subkontinent von großer Diversität geprägt.

Intersexuelle Menschen können nicht mit Transmenschen gleichgesetzt werden. Diese Unterschiede klar zu benennen und zu definieren ist Roy nicht gelungen.

Es ist zwar ihr gutes Recht, eine fiktive Geschichte zu entwerfen, dennoch sollte sie, wenn sie über eine bestimmte Gemeinschaft schreibt, Nachforschungen anstellen und zumindest die Fakten berücksichtigen.

Wir haben so mühevoll für mehr Sichtbarkeit sowie für mehr Bewusstsein für unsere Existenz und Identität als Intersex-Personen gekämpft. Wenn uns jedoch progressive Autor*innen, wie beispielsweise Arundhati Roy, fehlerhaft darstellen, wird vielen Menschen ein falsches Bild unserer Gemeinschaft vermittelt.

Um unseren Leser*innen ein besseres Verständnis für die Begrifflichkeiten zu ermöglichen, werde ich kurz die grundlegenden Unterschiede zwischen Hijras und Intersexuellen erläutern.

Intersexualität ist eine biologische Geschlechtsidentität, während Transgender eine soziale Geschlechtsidentität ist. Hijras fallen auch unter den Begriff Transgender, jedoch nicht alle Transmenschen sind Hijras. Intersex-Personen werden mit nicht eindeutigen reproduktiven Organen und/ oder verschiedenen Variationen hinsichtlich ihrer Geschlechtsmerkmale, wie Chromosomen, Keimdrüsen und Sexualhormonen geboren.

Die Hijra Gemeinschaft repräsentiert eine der ältesten Geschlechtsidentitäten Indiens und verfügt über eigene Sprachen, Traditionen, Rituale sowie Verhaltensregeln. Einige Intersex-Personen identifizieren sich als Transgender, was jedoch nicht repräsentativ für unsere ganze Gemeinschaft ist.

Der Begriff „Hermaphrodit“ ist abfällig und wir lehnen diesen Terminus für uns ab. Weshalb werden unsere Leute homogenisiert?

Als Änderung, bzw. Entschädigung wünschen sich Intersex Gemeinschaft sowie Intersex Aktivist*innen von der Autorin, sie möge doch wenigstens eine ergänzende Seite hinzufügen, auf der sie die Unterschiede zwischen biologischem Geschlecht und Geschlechtsidentität, sowie die Unterschiede zwischen Intersexuellen und der Hijra Gemeinschaft klarstellt.

Toni Briffa, der weltweit erste intersexuelle Politiker, frühere Bürgermeister von Hobson`s Bay City und Mitglied des OII Australien stellt fest:

„Eine Verquickung der Begriffe „Intersex“ und „Trans“ zeigt, dass diese Menschen nicht wissen, was Intersexualität ist. Intersexualität bezieht sich auf die Biologie. Intersexualität bedeutet, dass man mit Geschlechtsmerkmalen geboren wird, welche sich außerhalb der medizinischen Norm für männlich und weiblich befinden. Es geht dabei nicht um Menschen, die mit einem bestimmten biologischen Geschlecht geboren wurden, welches nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt.

Die falsche Darstellung durch eine Person, die sich als Expertin bezeichnet, ist bedenklich. Noch bedenklicher ist ihre Weigerung, die falsche Darstellung zu korrigieren, nachdem sie aus zuverlässigen Quellen darüber informiert wurde, dass ihre Beschreibungen falsch, beleidigend und schädlich für unsere Gemeinschaft sind.



[1] Aravan, Sohn des Arjuna und seiner Frau Ulupi, ist ein bedeutsamer Krieger des Epos Mahabharata. Als Zeichen der Tapferkeit plant er, sich selbst zugunsten der großen Schlacht in einem Opferritual zu töten. Um die Bestattungsrituale eines verheirateten Mannes zu erhalten, sucht er eine Frau, die bereit ist, ihn vor seiner Selbstopferung zu heiraten. Dies gestaltet sich jedoch schwierig, da sich alle vor dem frühen Witwendasein fürchten. Da schreitet Krishna ein indem er seine weibliche Form, Mohini, annimmt, Aravan heiratet und die Hochzeitsnacht mit ihm verbringt. Danach nimmt Krishna wieder seine männliche Form an. In der Volkstradition von Koovagam wird vom Klagen Mohinis nach der Selbstopferung Aravans berichtet. Die Aravanis (Transfrauen) stellen während des Festivals die Hochzeit sowie das anschließende Klagen über den Verlust Arvavans nach.


For Srishti Madurai LGBTQIA+ Student Volunteer Movement, Translation and

Inputs from Katrin Bender, Heidelberg University Germany (Intern with Srishti Madurai 2018).

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